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Was ist das eigentlich, mit dem Higgs-Teil-
chen? Woher kommt all der Trubel, und vor
allen Dingen auch der Jubel über seine Entdeck-
ung? Und was bedeutet das alles für uns im Alltag?
Das Higgs-Teilchen ist ja am 4. Juli 2012 an-
nonciert worden. Es ist natürlich lange vorher
entdeckt worden, aber davon später mehr. Zu-
nächst einmal: Das Besondere am Higgs-Teilchen
ist erstens, es ist nach Peter Higgs benannt
worden. Kein anderes der Elementarteilchen,
die wir kennen, hat den Namen eines Menschen.
Sondern hier haben wir das Standardmodell
der Teilchenphysik, was ihr hier seht, und die
lilafarbenen, das sind die Quarks. Das sind die
Teilchen, die die Materie aufbauen. Up- und
down-Quarks, das sind diejenigen, die die Protonen
und die Neutronen aufbauen, also das Material,
aus dem wir sind. Dann gibt’s hier noch charm,
strange, bottom und top, und das sind Quarks,
von denen man früher mal gesagt hat, niemand
hat die bestellt, für was braucht man die ei-
gentlich? Für die Theorie sind sie ganz wichtig,
um verschiedene Reaktionen zu erklären.
Unten haben wir die Leptonen, die grünen,
das sind die leichten Teilchen. Da ist zum Bei-
spiel unten das Elektron, und dann gibt’s die ganzen
Neutrinos, die auftreten bei bestimmten Kern-
reaktionen. Und dann haben wir hier, in diesem
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Modell, noch die vier, oder die drei – eigentlich
sind es nur drei – Wechselwirkungsfamilien:
das Photon, das gehört zur elektromagnetischen
Wechselwirkung; das Gluon oder die Gluonen,
das sind Teilchen, die kleben. Das sind diejenigen,
die innerhalb eines Atomkerns die Atomkerne
zusammenhalten, gegen die allgemeine, zum Bei-
spiel elektromagnetische Abstoßung von Ladungen.
Zum Beispiel hier beim Helium, da denkt man
nicht dran: Klar, Helium hat zwei Protonen, zwei
Neutronen. Eigentlich sollten sich doch gleich-
namige Ladungen, also zwei Protonen, abstoßen.
Die sollten sich abstoßend finden. In einem Atom-
kern, der ohnehin sehr klein ist, auch noch zwei
gleichnamige Ladungen zusammenzupressen –
die Neutronen sind ja neutral, die machen kein
Problem, aber wieso, was hält die fest? Es sind
die Gluonen. Und dann gibt’s die W- und Z-
Bosonen, und da, Achtung: Da solltet ihr mal genau-
er hingucken. Ihr solltet überhaupt mal genauer
hingucken, was da alles noch so steht: Da stehen
nämlich Massen drin. Während also das Photon und
die Gluonen keine Ruhemasse haben, haben die Z-
und W-Bosonen eine Masse. Das wird typischerweise
ausgedrückt in Energie, ist nicht so wichtig, das
Wichtige ist: Die haben eine Ruhemasse. Das
heißt, ihre Wirkungslänge ist beschränkt. Die kön-
nen nicht beliebig irgendwo wirken, sondern sind
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nur auf die Nukleonen, also auf die Bausteine
von Atomkernen selber beschränkt. Und daneben
steht jetzt das Higgs-Boson. Ein Boson ist ein
Vermittler von Kraft. Dann, wenn es einen ganz-
zahligen Spin hat – und Null ist eine ganze
Zahl, das hat also einen ganzzahligen Spin,
so wie alle Bosonen, wie man sehen kann – und
der hat sogar eine Masse, aber davon später mehr.
Ihr seht bei den anderen Elementarteilchen auch
jede Menge Zahlen, und das ist sehr verwunder-
lich. Denn diese ganzen Massen, die da drauf-
stehen, die kann das Modell gar nicht erklären.
Man könnte praktisch sagen, die Vorhersage des
Elementarteilchenmodells war: Es gibt sechs
Quarks, und es gibt sechs Leptonen. Gut. Und da-
mit war’s das. Und dann gibt’s noch die Teilchen,
die die Kräfte vermitteln. Finito. Was aber die-
ses Modell überhaupt nie vorhersagen konnte,
ist, welche Massen diese Teilchen haben. Da
liegt der Hase im Pfeffer. Und das ist ein Prob-
lem, auf das wir in der Elementarteilchenphysik
immer und immer wieder stoßen, dass wir bei
der Beantwortung einer Frage schon wieder mer-
ken: Wir kriegen gar keine wirklich vollständige
Antwort, sondern immer nur eine, die auf eine
weitere Ebene verweist. Wenn man sich überlegt,
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wir hätten das Higgs-Teilchen nicht gefunden, wir
haben’s noch nicht, dann muss man sich die Frage
stellen, woher kommen die Massen dieser Teilchen?
Das heißt, wir müssen eine Ebene der Beschreibung
ändern. Wir müssen etwas drumherum setzen und
müssen sagen, es muss eine Wechselwirkung geben,
die den Teilchen die Masse vermittelt. Und da
kommt eben dieses Higgs-„Feld“, erstmal, ins
Spiel. Worum geht es da? Da muss man sich erst-
mal die Frage stellen, worum geht es überhaupt
bei Masse? Was ist denn eigentlich Masse? Ist
Masse eine Eigenschaft, die unabhängig von der
Wechselwirkung stattfindet? Oder ist Masse
doch nur eine Eigenschaft, die ich einem Körper
zuordne, der eben eine Wechselwirkung zeigt?
Und bei der Gravitation? Die habe ich ja immer,
ich kann ja die Gravitation gar nicht ausschal-
ten. Also was ist eigentlich Masse? In der
Elementarteilchenphysik hat man Folgendes raus-
gefunden: Man kann die Wechselwirkung von
Teilchen folgendermaßen darstellen, indem man
dem Teilchen eine Ruhemasse gibt und dieses
Teilchen dann mit irgendwelchen Wechselwirkungs-
bosonen interagieren lässt, wechselwirken lässt.
Schön. Man kann aber auch dem Teilchen gar keine
Masse geben, m = 0, und man lässt das Teilchen
ständig wechselwirken. Und dann scheint es eine
Masse zu bekommen, dadurch, dass es pausenlos
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wechselwirkt. Ein ganz einfaches Beispiel: Wir
haben einen Riesen-Swimmingpool, 200 Meter lang,
voller Wasser. In diesem Swimmingpool, am Bo-
den, schön mit Schnorchel ausgerüstet, geht ein
Mensch. Im Wasser. Wirklich unter Wasser, er
geht auf dem Boden des Swimmingpools durchs
Wasser. Parallel dazu läuft jemand am Swimming-
pool-Rand entlang. Jetzt könnt ihr euch natürlich
überlegen, wer geht schneller? Natürlich, genau,
der der draußen ist. Der muss nämlich gegen
den Widerstand dieses Wassers nicht anlaufen.
Da draußen können eine dickere Person und eine
dünnere Person nebeneinander laufen, die mer-
ken nichts vom Widerstand der Luft. Aber eine
dickere oder dünnere Person im Wasser, das macht
sehr wohl einen Unterschied. Und genauso, wie
dieses Wasser im Swimmingpool auf die Bewegung
der Personen wirkt, so wirkt – das war die Idee
von Peter Higgs und einigen anderen – so wirkt
das Higgs-Feld auf die Wechselwirkungen der
Teilchen, die die Materie aufbauen. Also irgend-
wie so ein kosmischer Swimmingpool. Überall
im Universum gibt es dieses Feld, das ist schon
mal interessant, weil es schon eine Art von
Revolution ist. Was unterscheidet das Higgs-Feld
jetzt von anderen physikalischen Feldern? Was
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haben wir denn da? Alle, die wir kennen – das
sind ja Felder, die von Ladungen ausgehen. Hier
zum Beispiel eine elektromagnetische Ladung,
da geht ein elektrisches Feld aus, und dieses
elektrische Feld hat Wirkungen in die Umgebung.
Also wenn da eine andere Ladung ist, dann spürt
diese andere Ladung dieses Feld. Die beiden La-
dungen ziehen sich an, wenn sie ungleichnamig
sind; wenn sie gleichnamig sind, stoßen sie sich
ab. Gravitationsfelder. Die Sonne hat ihr Gravi-
tationsfeld, in der allgemeinen Relativitäts-
theorie ja die Krümmung der Raumzeit, also
das Feld ist da, ist auf die Sonne zentriert,
die Planeten bewegen sich drum herum. Der
Mond, im Gravitationsfeld der Erde und der Son-
ne, und so weiter und so weiter. Das sind alles
Felder, die eine Richtung haben, nämlich Rich-
tung hin zur Quelle, zu den Quellen, die dafür
verantwortlich sind, dass die Felder da sind.
Jetzt machen wir mal Folgendes: Jetzt nehmen
wir mal die ganzen Ladungen aus dem Universum
raus. Wir nehmen die ganzen Massen aus dem
Universum raus. Alles weg, und jetzt? Genau.
Was dann immer noch übrig bleibt, ist zum Bei-
spiel das Higgs-Feld. Das bleibt da einfach üb-
rig. Das kannst du nicht rausnehmen. Das kannst
du aus dem Universum nicht rausnehmen. Also,
wie soll man sagen, das kann man sich nicht
rausnehmen, das Higgs-Feld aus dem Universum
rauszunehmen. Das geht nicht. Das ist das Be-
sondere. Es ist ein universelles Feld. Überall
im Universum. Und dass das dann auch noch
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so eine Selbstanregung zeigt wie diese Strudel,
um bei diesem Swimmingpool-Bild zu bleiben,
oder im Seebild diese Schaumkrönchen, das macht
es erstmal zu einem Feld, das entdeckt werden
kann anhand seiner Wirkung, anhand seiner Selbst-
Wechselwirkung. Deswegen kann man das Boson
dann da tatsächlich auch entdecken. Die Begeis-
terung über die Entdeckung des Higgs-Bosons
ist ja natürlich erstmal experimentell. Es ist
ja eine wahnsinnige Messanlage, die da unten
im Schweizer Untergrund aufgebaut worden ist,
gewaltige Detektoren, der Atlas-Detektor, diese
riesige Beschleunigeranlage, wo auf ganz nied-
rigen Temperaturen knapp über dem absoluten
Nullpunkt in sehr starken Magnetfeldern mit ei-
ner wahnsinnigen Präzision Teilchen aufeinander
geschossen worden sind… Deswegen die große
Begeisterung. Man muss sich mal überlegen, mit
welcher Präzision da Teilchen aufeinandertreffen,
die treffen sich ja immer wieder in diesen großen
Messkollektoren. Millionen, Abermilliarden Mal,
Billionen Mal wurden diese Teilchen aufeinander
geschossen, um gewisse Zerfallsprozesse zu fin-
den, um nachzugucken, das kann nur, ja – kann
das nur das Higgs-Boson gewesen sein, oder
gibt’s noch was anderes? Eine Unmenge von Mög-
lichkeiten, die da unten existieren, von Com-
putern ausgelesen, und zwar sogar von Konkurrenz-
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computern ausgelesen. Die einen haben es aus-
gelesen, die anderen haben es nochmal ausgelesen,
es wurde ein Datenaustausch vorgenommen, um
ganz sicher zu sein, dass es hier nicht um sta-
tistisches Rauschen geht, sondern um wirkliche,
tatsächliche Ereignisse, die nur und ausschließ-
lich auf das Higgs-Teilchen zurückzuführen waren.
Das war erstmal wichtig. Aber die wirkliche Auf-
regung im Hintergrund, da wo der Sekt dann rich-
tig geflossen ist, da geht’s um was ganz anderes.
Naja, nicht um ganz was anderes. Das Higgs-Bo-
son, die Entdeckung des Higgs-Bosons verweist
auf die Existenz eines Feldes, des Higgs-Feldes.
Und das ist der wirkliche Kracher. Das Higgs-
Feld gehört zu den Anfangsbedingungen des Uni-
versums. Man muss sich das mal überlegen: Die
Menschheit baut einen Beschleuniger, um Teil-
chen auf ziemlich hohe Energien zu beschleunigen,
um herauszufinden – und das muss man sich auf
der Zunge zergehen lassen: Wie sah das Universum
aus, als es eine Trillionstel Sekunde alt war?
Das sind die Zustände, die energetischen Zu-
stände, die in dem großen Hadronen-Beschleu-
niger erzeugt werden mussten, um an dieses
Higgs-Boson heranzukommen. Die Selbstanregung
des Higgs-Feldes, eines skalaren Feldes, das seit
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Anbeginn der Zeiten den Quarks ihre Ruhemasse
gibt. Wahnsinn. Dass wir das in einem Beschleu-
niger geschaffen haben, das finde ich ganz
enorm. Dafür natürlich auch aller Ehren wert.
Umso erstaunlicher, dass dann doch irgendjemand
bei dieser ganzen Sucherei nach diesem Teilchen
wieder auf den Fehler verfallen ist, aus einem
Titel, den ein Elementarteilchenphysiker bei
seinem Herausgeber mal angemeldet hat – das
war der Physiker Leon Lederman, der wollte ein
Buch über das Higgs-Teilchen schreiben. Damals
war es noch nicht entdeckt. Und er hat also mit
dem Titel „The God Damned Particle“ ausdrücken
wollen: Meine Güte, das ist ja so schwer zu fin-
den, Herrgott nochmal. Und dann wurde tatsächlich
das „damned“ herausgenommen, und dann wurde
daraus das Gottesteilchen gemacht. Das Higgs-
Teilchen, daraus wurde ein Gottesteilchen gemacht.
Und schon ist man wieder bei dem alten Miss-
verständnis, dass die Suche nach den ewigen Bau-
steinen der Materie zugleich eine Suche nach
Gott sei. Nein, ist es nicht! Es geht erstmal
darum, Inventur zu machen! Was ist in dieser
Welt? Und wir waren ja sehr erfolgreich bei
der Suche nach den Elementarteilchen in den
letzten Jahrzehnten. Man muss sich das mal über-
legen: Die Theorie sagt ein Teilchen voraus,
Bingo, gefunden. Und gefunden. Alle Teilchen
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in dem Standardmodell der Elementarteilchenphysik
sind entdeckt worden, klasse. Das einzig Blöde
war halt, dass man nicht versteht, woher kommen
die Massen von den Quarks? Und da ist eben das
Higgs-Feld zunächst einmal ein Ausweg. Es ist
keine finale Lösung, leider nicht, denn es ver-
weist schon wieder darauf, da muss es noch viel
mehr geben. Und das Tolle ist, das wirklich
Tolle, finde ich, dass es mit der Kosmologie zu-
sammengeht. Das, was da in einem Schweizer Teil-
chenbeschleuniger gefunden wird, ist ein kos-
misches Phänomen, das im gesamten Universum
eine Rolle spielt und sogar möglicherweise einen
Hinweis darauf liefert, warum das Universum ganz
am Anfang, nämlich genau, als es so klein war
wie ein Elementarteilchen, diese Energien hatte,
nämlich, warum es sich so entwickelt hat und
nicht anders. Insofern ist die Suche nach dem
Higgs-Teilchen eine Etappe in dieser grandiosen
Etappe der kosmischen Ahnenforschung. Das Higgs
ist möglicherweise einer dieser Fährmänner, die
uns über einen Fluss rüberbringen, in ein Land,
von dem wir noch überhaupt keine Ahnung
haben, was uns da erwartet.
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